Das Erdbeben von 1201 und der Millstätter See
Blick von oben auf einen ruhigen See, der von bewaldeten Hügeln eingefasst ist. Im Hintergrund Berge. Am rechten Ufer des Sees liegen Ortschaften, in der Mitte des Bildes ragt eine kleine Landzunge in den See. Im Vordergrund eine Wiese.

Das Erdbeben von 1201 und der Millstätter See

Beim ältesten überlieferten historischen Erdbeben in Österreich von 1201 war man sich über Intensität und Ort des Epizentrums lange uneinig. Ältere Studien sahen das Epizentrum bei Murau, während neuere Forschung das Epizentrum eher an den Katschberg rückte. Die Untersuchung von Sedimentschichten im Millstätter See brachte nun das Resultat, dass das Epizentrum beim Katschberg plausibel ist und eine Magnitude von ungefähr 6,4 auf der Richterskala für das Erdbeben angenommen werden kann.

Am Freitag, dem 4. Mai 1201 bebte in Oberkärnten die Erde. Dazu ist zu lesen:

Anno domini incarnationis 1201. terremotus magnus factus est per dimidiam fere horam 4. Nonas Mai … ac deinceps frequenter, adeo fortis, ut nonnullas ecclesias subverteret ac domos muratas, in quibus longe lateque magna strages hominum facta est. Inter que in castro Wizzenstain turris corruens hospitem domus Hartrodum ministerialem ducis Stirensis cum 7 viris interemit; sed et castrum archiepiscopi Chaets dirutum, fere omnes habitatores suos morti dedit.

Gesta Archiepiscoporum Salisburgensium, Monumenta Germaniae Historica Scriptores, Bd. 11
Darstellung des Erdbebens von Basel im Jahr 1356, gemalt im 19. Jahrhundert.

Ein schweres Erdbeben und mehrere Nachbeben ließen Kirchen und gemauerte Häuser einstürzen und sorgten für große Zerstörung. Im Schloss Weißenstein (Wizzenstain) stürzte der Turm ein und erschlug den Besitzer Hartrod, einen Ministerialen des Herzogs von Steiermark, und 7 Männer. Die erzbischöfliche Burg Katsch (Chaets) wurde zerstört und fast alle Bewohner starben.

Bei diesem Erdbeben handelt es sich um das älteste überlieferte historische Erdbeben in Österreich. In den österreichischen Erdbebenkatalog wurde es mit einer abgeschätzten Epizentralintensität von 9 („zerstörend“) auf der Europäischen Makroseismischen Skala und dem Epizentrum bei Murau in der Steiermark eingetragen. Da die Quellenlage äußerst dürftig war und außer den oben angegebenen Burgen „Wizzenstain“ und „Chaets“ nur noch die Ortsangabe „Lungow“ vorhanden war, konnte diese Festlegung nur darauf aufbauen. Das Epizentrum erschien aus geophysikalischen Gründen aber fragwürdig.

Wie die Stärke von Erdbeben angegeben wird

Die Intensität beschreibt die Auswirkung von Erdbeben an der Oberfläche basierend auf Wahrnehmungen und kann ohne Messinstrumente ermittelt werden. In Österreich wird die Intensität meist mit der Europäischen Makroseismischen Skala (als EMS-98 bezeichnet) angegeben. Die Skala hat 12 Stufen. Mittels Wahrnehmungsberichten werden verschiedenen Orten Intensitätswerte zugeordnet und in eine Landkarte eingetragen. Daraus kann man schließlich das Epizentrum (Punkt an der Erdoberfläche senkrecht über dem Erdbebenherd) und die Epizentralintensität ermitteln. Grad 1 ist beispielsweise „nicht fühlbar“ und Grad 12 ist „vollständig verwüstend“.

Die Magnitude beschreibt die am Erdbebenherd freigesetzte Schwingungsenergie und wird mit Hilfe von Seismometern gemessen. In Österreich wird die Magnitude üblicherweise mit der Richterskala angegeben. Die Skala hat keine Stufen und für die Erdkruste ein theoretisches Maximum von 9,5. Der Nullpunkt wurde auf einen bestimmten Wert festgelegt, daher sind auch negative Werte möglich. Üblicherweise findet man bei Erdbeben aber Werte ab 2,0 („extrem leicht“) bis 9,5 („extrem groß“). Wichtig ist auch, dass es sich bei der Richterskala um eine logarithmische Skala handelt. Das bedeutet ein Erdbeben der Magnitude 7 setzt 30 mal mehr Energie frei als ein Erdbeben der Magnitude 6 usw. Daher ist auch ein Erdbeben der Magnitude 7 ungefähr 1000 Mal energiereicher (ca. 30 * 30) als ein Erdbeben der Magnitude 5, wenn sie in gleicher Tiefe stattfinden.

Die Historikerin und Geographin Christa Hammerl konnte 1995 schließlich über eine Quellenstudie nachweisen, dass mit der Burg „Wizzenstain“ Weißenstein im Drautal und mit „Chaets“ die Burg Rauchenkatsch im Liesertal gemeint sein müssen. Das Epizentrum wurde daher auf Katschberg mit einem Fragezeichen korrigiert. Aufgrund der dürftigen Quellenlage wurde allerdings keine neue Epizentralintensität abgeschätzt.

Damit könnte das Thema erledigt sein. Immerhin gab es damals noch keine Erdbebenmessungen und weitere Berichte liegen nicht vor. In den letzten Jahren untersuchten allerdings Wissenschaftler um den Geologen und Paläoseismologen Michael Strasser und seinen Assistenten Jasper Moernaut von der Universität Innsbruck den Wörthersee und Millstätter See, um weitere Erkenntnisse über historische Erdbeben zu gewinnen. Die Sedimentablagerungen in Seen können nämlich als „Erdbebenarchiv“ benutzt werden. Aber warum will man die Stärke und den Ort von historischen Erdbeben überhaupt wissen? Daten über vergangene Erdbeben helfen die Wahrscheinlichkeit von schweren Erdbeben für bestimmte Orte besser einzuschätzen und fließen in die Erdbebengefährdung ein, die wieder Einfluss auf zum Beispiel Baunormen hat und hilft die Zerstörungen bei schweren Erdbeben zu verringern.

Zurück zum See. Sedimente lagern sich normalerweise relativ ungestört in Schichten auf dem Grund des Sees ab. Das erfolgt im jahreszeitlichen Rhythmus, so dass man – ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen – einzelne Jahre unterscheiden kann. Durch verschiedene Ereignisse kann diese Sedimentablagerung allerdings gestört werden, so zum Beispiel durch Starkregen oder Überschwemmungen und dem darauffolgenden Einschwemmen von Material. Durch Störungen kann es zu Unterwasser-Erdrutschen (die Geologen nennen das Massenbewegungen) und speziellen Gesteinsbildungen (Turbidite) kommen. Diese Störungen können durch die bereits genannten Überschwemmungen, durch den Menschen (wie beim Bau einer Bahnunterführung am Wörthersee 2013) oder auch durch Erdbeben verursacht werden.

Für das Forschungsprojekt wurde zuerst die Topografie der Oberfläche des Unterwasserbodens mittels Echolot auf 1 m genau vermessen. Zusätzlich wurde auch die Struktur der obersten Bodenschichten mittels Reflexionsseismik untersucht, um Hinweise auf die oben erwähnten Erdrutsche zu bekommen. Dann wurden Sediment-Bohrkerne mit 1.5 m und 11 m Länge an verschiedenen Stellen aus dem See-Untergrund entnommen und ausgewählte Bohrkerne mittels Computertomografie und weiteren Methoden untersucht. Zur Altersbestimmung der Schichten wurde aus ihnen organisches Material gewonnen, das dann mittels Radiokarbon-Analyse datiert wurde.

Die Schwierigkeit bestand nun darin die vorhandenen Störungen den richtigen Quellen (Starkregen, Überschwemmung, Erdbeben, …) zuzuordnen und besonders, die durch Erdbeben verursachten Störungen zu identifizieren. Dazu war eine „Kalibrierung“ der Sedimentschichten notwendig. Vereinfacht gesagt versuchte man aus den vorhandenen Daten zu vergangenen Erdbeben (1976, 1857, 1690, 1511, 1348 und 1201) und der Altersbestimmung der Schichten die Störungen richtig zuzuordnen. Für das Friaul-Erdbeben von 1976 gab es bereits Messdaten, die Ausgangsdaten für die älteren Erdbeben waren natürlich dementsprechend unsicherer. So wurden für den Millstätter See Sedimentstörungen durch Erdbeben mit Unsicherheiten für 1686±8 (1690), 1517±9 (1511), 1350±10 (1348) und ca. 1350–1100 (1201) identifiziert.

Teil einer Grafik der Studienautoren, in der sie die geologische Situation in Kärnten, Friaul und Oberkrain darstellen. Zusätzlich zeichnen sie die Epizentren von historischen Erdbeben ein. Für das Erdbeben von 1348 sind noch die bekannten Intensitätswahrnehmungen verortet.

Für das Erdbeben von 1201 geben die Studienautoren eine Intensität beim Millstätter See von 7–7½ als Obergrenze an. Aus einer angenommenen Epizentralintensität von 8–9 schließen sie, dass das Epizentrum weniger als 30 km vom See entfernt gelegen haben sollte. Damit würde die Annahme des Epizentrums um den Katschberg gestützt werden. Mit diesem Epizentrum kommen sie auf eine Magnitude von ungefähr 6,4 („stark“).

Das Erdbeben von 1201 zeigt sehr gut, wie die Geschichtsforschung die Naturwissenschaften unterstützen kann und umgekehrt. Dadurch war es möglich das Epizentrum und die Intensität des Erdbebens genauer einzugrenzen.

Literatur

Wattenbach, Wilhelm: Gesta Archiepiscoporum Salisburgensium, in: Historiae aevi Salici, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Monumenta Germaniae Historica Scriptores, Bd. 11, Hannover 1854, S. 1–103, Online: mgh.de (besucht am 17.02.2023), S. 49.

Christa Hammerl: Das Erdbeben vom 4. Mai 1201, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 103 (1995), S. 350–368, Online: doi:10.7767/miog.1995.103.jg.350 (kostenpflichtig oder über Institutionen), Volltext: ingv.it (besucht am 11.07.2023).

Intensität, in: GeoSphere Austria, FAQs zu Erdbeben, Online: zamg.ac.at (besucht am 11.07.2023).

Magnitude, in: GeoSphere Austria, FAQs zu Erdbeben, Online: zamg.ac.at (besucht am 11.07.2023).

Katschberg 1201, in: GeoSphere Austria, Historische Erdbeben in Österreich, Online: zamg.ac.at (besucht am 11.07.2023)

Daxer, Christoph et al.: High-resolution calibration of seismically-induced lacustrine deposits with historical earthquake data in the Eastern Alps (Carinthia, Austria), in: Quaternary Science Reviews, 284 (2022), Online: doi:10.1016/j.quascirev.2022.107497.

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Michael Glanznig: Das Erdbeben von 1201 und der Millstätter See. In: Interdisziplinäre Geschichtsforschung, Publikationen Stadtarchiv Gmünd in Kärnten, Juli 2023. Online: ark:/65325/d600bj.

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