Erinnerungen an Herbert Wagner
Anton Fritz

Erinnerungen an Herbert Wagner

Ein Nachruf aus Dezember 2009 – mit einigen Änderungen in der Bebilderung

Vieles ging mir durch den Kopf, als mich die Todesnachricht meines historischen Lehrmeisters erreichte. Der letzte mit ihm verbrachte Vormittag in Platz – beim höchstgelegenen Bauern Gmünds, wie er immer sagte – und der Abschied mittags vor seiner Haustüre, als er mich „zum Kochen“ nach Hause schickte – bis Donnerstag um 9 Uhr, zum Frühstück, mit dem unser Arbeitstag immer begann.

Stadtarchiv Gmünd
Herbert Wagner
06.07.1916–18.11.2009
Stadtarchiv Gmünd
Herbert Wagner mit Bürgermeister Gabriel 1985
Als Direktor der Hauptschule und Alpenvereinsobmann der Sektion Gmünd i. K. übernahm er auch die Aufgabe eines Chronisten für die Stadt. Er war in vielen Aspekten eine Person des öffentlichen Lebens.

1980, als ich als Lehrer nach Gmünd kam, lernte ich ihn kennen. Unsere gemeinsame Arbeit begann bei den Vorarbeiten zur Lodron-Ausstellung, für die wir alte Urkunden lasen und abschrieben. In Erinnerung bleiben auch die vielen Brettljausen, mit denen er sich und mich nach getaner Arbeit belohnte, weil wir ja doch etwas getan haben. Nach meiner Pensionierung begann eine jahrelange, intensive, fast tägliche Zusammenarbeit, die immer die Erforschung der Geschichte Gmünds und des Gmündtales – in seinem Sinne sei diese vergessene Bezeichnung genannt – zum Ziel hatte.


Stundenlang erzählte er aus seinem Leben: seine Kindheit in der Volksschule Lieserhofen, in der sein Vater unterrichtete, seine Fußmärsche in die Spittaler Bürgerschule über den Fratres und seine Zeit als Lehramtskandidat in Klagenfurt. Herzlich lachte er über ein Schelmenstück an einem 1. April, als in der Zeitung geschrieben wurde, dass in Velden die Glocke aus der versunkenen Stadt gefunden wurde. Viele ehrenwerte Männer fuhren damals nach Velden, um die Glocke zu besichtigen. Sein erster Dienstort hätte Molzbichl sein sollen, der Direktor setzte aber die Versetzung nach Eisentratten durch, er wollte in seiner „katholischen Schule“ keinen evangelischen Lehrer – die „Hornaten“ (Herbert Wagner verwendete dieses Wort oft und machte mit den Fingern die entsprechende Bewegung) hatten es damals nicht leicht.

Stadtarchiv Gmünd
Ein wichtiger Ort im Hause Wagner: die Bibliothek.
Stadtarchiv Gmünd
Sein Arbeitsplatz in der Küche, hier schrieben wir unsere Beiträge für die Stadtzeitung.
Stadtarchiv Gmünd
Mit zahllosen Fotos und Dias dokumentierte Herbert Wagner fast 70 Jahre unserer Geschichte.

Herbert Wagner nahm seinen Beruf sehr ernst, ich habe seine vielen Stundenvorbereitungen gesehen, sie könnten auch heute noch gute Dienste leisten! Immer war es für den jungen Lehrer wichtig, auch die Eltern seiner Schüler kennen zu lernen. Er hatte ein vorzügliches Gedächtnis, ein Gesicht, das er sich einmal eingeprägt hatte, vergaß er nicht mehr. Er war ein Kommunikationsgenie. Die früher üblichen Fragen nach dem „woher, wohin“ waren ihm zu wenig. Er fragte nach den Eltern, Großeltern, nach den Geschwistern und nach dem Beruf. Immer wieder versetzte er mich in Erstaunen, wenn er Bewohnern unserer Täler, die er zufällig in der Stadt traf, ihre Familiengeschichte erklärte. Während seiner Zeit als Lehrer in Malta half er dem Bürgermeister in der Kanzlei. Damals gab es viele Arbeitslose, die regelmäßig zum „Stempeln“ in das Gemeindeamt mussten und wenn ihm beim Lesen oder Erzählen ein Name unterkam, erinnerte er sich: „Der war bei mir stempeln“.

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Aus der Zeit des zweiten Weltkriegs.

Über den Krieg redete er nicht gerne. Von seiner Tätigkeit als Fahr- und Reitlehrer sprach er und in Spittal erklärte er mir, wo sie mit den Pferden überall im Galopp unterwegs waren. Begeistert war er vom Sportfest 1938 in Breslau auf der Zeppelinwiese und ein unvergessliches Erlebnis war der Flug mit der berühmten „Tante Ju“, der Junkers 52. In Viktring bei Klagenfurt kam er nach dem Krieg in ein englisches Lager und hatte Glück: Er wurde mit seinen Kameraden nicht nach Jugoslawien ausgeliefert. Aus dem Schuldienst wurde er, wie so viele, entlassen und arbeitete bei der Zimmerei Unterlerchner als Hilfszimmerer. Den Spruch, den sie beim Einschlagen der Pfosten für die Brückenjoche immer mitsprachen, habe ich vergessen. Herbert Wagner ist dabei aufgestanden und hat beim Sprechen die wuchtigen Schläge angedeutet.

Wenn die Rede auf den Schulbus kam, erzählte er seine Erlebnisse als wandernder Schüler und später als Lehrer, als er zwei Jahre in der Lagerschule in Treffling unterrichtete und die Strecke von Gmünd aus zu Fuß zurücklegte. Im Jänner 1948 wurde er wieder in den Schuldienst aufgenommen und kam als Lehrer in unsere Hauptschule, in der er bis zu seiner Pensionierung als Lehrer und Direktor arbeitete. Anfangs unter Umständen, die für uns kaum mehr vorstellbar sind: die Lehrer waren ständig unterwegs, vom St.-Antoni-Spital zur Gemeinde, in den Pfarrhof und in die Baracke auf der Wiese der Volksschule. Sein Lebenswerk als Pädagoge war zweifellos der Umbau des Lodron’schen Stadtschlosses, wo er die Planer mit seinen Vorstellungen oft zum Verzweifeln brachte. Aber seine Arbeit hat sich gelohnt, das Werk lobt den Meister! Eine zusätzliche administrative Belastung war die Eröffnung der Expositur in Rennweg. Als ich fragte, ob das nicht sehr mühsam war, lobte er die gute Zusammenarbeit mit den Rennweger Kollegen und antwortete: „Ein guter Chef muss delegieren können.“

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Herbert Wagner in seinen mittleren Lebensjahren.
Herbert Wagner
Sein Markenzeichen als „Lehrerbäck“: der Kübelwagen.

Ich möchte ihn nicht als „Workaholic“ bezeichnen, er wusste schon die Mußestunden zu schätzen, aber halbe Sachen gab es für ihn nicht. Ob in der Schule, in den Vereinen oder für die Bäckerei, die seine Gattin führte, immer setzte er sich voll ein. Als „Lehrerbäck“ wurde er bald im Lieser- und Maltatal bekannt und beliebt. Von dieser Zeit mit dem VW-Kübelwagen hat er mir oft erzählt. Sein reichhaltiges Wissen wurde geschätzt und zahllose Artikel in Festschriften und Alpenvereinszeitungen beweisen, dass er auch hervorragend schreiben konnte. Alles musste natürlich „Hand und Fuß“ haben und wenn seine reichhaltige Bibliothek zur Klärung eines Problems nicht ausreichte, scheute er sich nicht, Fachleute um ihren Rat zu bitten. Nennen möchte ich – stellvertretend für alle – Hofrat Dr. Fritz Koller, den Direktor des Salzburger Landesarchives, den ich bei ihm kennenlernen durfte und der immer bereit war, unsere Fragen mit großer Geduld zu beantworten.

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Hohe Schuhe und Knickerbocker reichten für jeden Berg.
PA Wagner
Einer der vielen Gipfelsiege.
Stadtarchiv Gmünd
Wie viele Kilometer war der langjährige Alpenvereinsobmann wohl auf den Bergen unterwegs?

Herbert Wagner war ein unermüdlicher Erforscher der Geschichte unserer Täler. Mit Hilfe seines Zeitgeschichte-Archivs konnte er fast jede Frage beantworten. Zerstörte und wieder errichtete Schutzhütten, Unfälle beim Bau der Autobahn, die Geschichte der Häuser am Hauptplatz in Gmünd, er hatte alles griffbereit. Als ihm das Stiegensteigen mühsam wurde, schickte er mich in sein Archiv, um bestimmte Unterlagen zu holen. Ich brauchte nicht suchen, seine Angaben waren präzise, er wusste genau, wo welche Ordner oder Schachteln zu holen waren. Der „Mirk“, wie er sagte, war ihm wohl in die Wiege gelegt worden und oft betonte er, dem Himmelvater dankbar zu sein für das lange Leben in geistiger Frische. Beim Vortrag anlässlich der 100-Jahr-Feier der Sektion Osnabrück bedankte er sich bei den Männern, die sich große Verdienste um unsere Bergheimat erworben haben. Heute dürfen wir uns ein letztes Mal bei ihm bedanken. Für sein Wissen, das er nicht für sich behalten hat, für sein Archiv, das er selbstverständlich allen zur Verfügung stellte, die etwas benötigten, für seine Freundlichkeit, für seine unnachahmliche Art, Gäste zu bewirten. Noch nachmittags an seinem Sterbetag hatte er einen langjährigen Freund – einen seiner Schüler – zur Kaffejause geladen.

Stadtarchiv Gmünd
Mit seiner Frau Fanny war er über 60 Jahre zusammen.
Stadtarchiv Gmünd

Arbeitsspaziergang mit Frau v. Orel. Damals (Juli 2007) schrieben wir den Bericht über Schipioniere. Ihr Mann war Forstmeister Fritz v. Orel, der Gründungsobmann unseres Wintersportvereines.
PA Wagner

Ehrung für sein historisches Wirken durch den Geschichtsverein. Links von ihm Univ.-Prof. Dr. Gernot Piccottini und rechts von ihm die damalige Obfrau Dr. Claudia Fräss-Ehrfeld.

Herbert Wagner wird vielen fehlen. Natürlich seinen Kindern und Enkelkindern, aber talauf und talab und über die Grenzen Österreichs hinaus gab es Freunde und Bekannte, die mit ihm telefonierten, ihn besuchten. In seinem Kalender waren hunderte Geburtstage eingetragen. Ich glaube nicht, dass er bis zu seinem letzten Tag auch nur auf einen einzigen Termin vergessen hat. Er fehlt auch mir und ich weiß, dass es seit seinem Tod auf viele Fragen keine Antwort mehr geben wird.

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Anton Fritz: Erinnerungen an Herbert Wagner. In: Beiträge aus 2009–2020, Publikationen Stadtarchiv Gmünd in Kärnten, Dezember 2009. Online: ark:/65325/d600xg.

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