Pankratius zählt zu den vierzehn Nothelfern und gehört zu den Eisheiligen. In Altbayern verbreitete sich die Pankratiusverehrung bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts über den Missionar Bonifatius. Der Enkel Karls des Großen, der spätere Kaiser Arnulf von Kärnten, vermehrte die Pankratius-Verehrung in seinem Reich. Der Papst rief ihn um Hilfe, um die Stadt aus unerwünschten Händen zu befreien. Arnulf kam diesem Ruf nach und siegte 896 n. Chr. Seiner Überzeugung nach gelang ihm dieser militärische Erfolg nur mit Hilfe des Hl. Pankratius, denn am Vorabend dieser Aktion richtete sich sein Gebet an ihn. Mit den Siegesfeiern verband sich die Krönung zum römisch-deutschen Kaiser. Arnulf brachte Pankratius-Reliquien aus Rom. Seither diente dieser Heilige im gesamten Reich als Patron von Ritter und Adel.
Mit seinem Pongratzentor verweist Gmünd auf die Stadt Rom: Große Pilgerscharen zogen dort schon früh zum Grab des Märtyrers Pancrazio, weit vor der Errichtung einer Basilika, die erst um 500 n. Chr. ihm zu Ehren erbaut wurde. Roms Stadttor, die ehemalige Porta Aurelia, nannte man damals bereits das Pankratiustor, original Porta San Pancrazio. Sein Leichnam wurde einst von einer Christin gerettet und beigesetzt. Über seinem Grab errichtete man späterhin Roms Pankratius-Basilika. Die Kombination dieser Widmung von Kirche und Tor ist als Nachahmung der christlichen Hauptstadt Roms zu interpretieren. Es wäre keine Einzelerscheinung: eine derartige Kopie findet man auch in anderen, vor allem italienischen Städten. In der Architektur des erzbischöflichen Gmünds berief man sich demnach auf die Hauptstadt der Christenheit.
Laut Legende wurde der in den griechischen Provinzen aufgewachsene Sohn eines Römers bereits im Alter von vierzehn Jahren in Rom zum Tode verurteilt. Als getaufter Christ hatte er sich geweigert, die alten Götter Roms anzubeten, so die Geschichte um diesen Märtyrer. Dabei soll er sich sogar dem Kaiser Diokletian selbst widersetzt haben. Die heutige Forschung belegt, dass sich diese Vorgänge in Wahrheit gar nicht zugetragen haben können. Demnach handelt es sich bei dieser Heiligenlegende um eine Lehrgeschichte. Der Name selbst wurzelt im Griechischen, wobei griechisch pan = all, ganz und krátos = Kraft, Macht. In einem griechischen Pankration trug man Ringkampf im Freistil aus. So wird der Name übersetzt mit „Der alle Besiegende“, wobei das lateinische Pankratius viele Kurzformen ermöglichte: von Pankraz, Pongraz bis GrazDer Name der steirischen Hauptstadt entstammt jedoch nicht dieser Wurzel. Er geht auf das slawische *gradec zurück, das kleine Burg bedeutet. Man vermutet eine slawische Fluchtburg auf dem Schlossberg..
Die Gründungssage zur Gmünder Pongratzenkirche nennt den Sohn eines Rittersnamens Pongratz. Ob es ihn tatsächlich gegeben hat, kann man nicht mehr nachvollziehen. Wenn ja, dann wäre er an einem 12. Mai geboren. Denn im Mittelalter galt der Brauch, Täuflingen den Namen des jeweiligen Tagesheiligen zu geben. Speziell nach dem Konzil von Trient – ab der Mitte des 16. Jahrhunderts – wurde von katholischer Seite ausdrücklich empfohlen, Kindern den Namen von Heiligen zu geben, um sich von der damals enorm anwachsenden Zahl der Protestanten abzuheben. Demnach könnte es sich um ein Sagenelement handeln, dessen erzählerische Ergänzung man durchaus erst nach jener Zeitspanne auslegen könnte. Gräbt man ein wenig tiefer in diese für Gmünd zentrale Sage, so lassen sich drei Erzählkerne erkennen: ein Seedurchbruch, ein Ertrinken mit einem anschließenden Kirchenbau und eine tragische Liebesgeschichte. Was hat es zunächst mit diesem sagenhaften See auf sich?
Es war einmal ein See
Mit dem Ende der letzten Kaltzeit staute sich in den Alpentälern das Schmelzwasser. Gleichzeitig verloren die Berge ihre Stützmauer durch das Auftauen der Gletscher. Parallel erfolgten bedeutende Abschwemmungen über die Bäche. Abflusshindernisse entstanden durch das Abrutschen ganzer Berghänge. Auch die Rückstände der Gletschermoränen konnten Staumauern bauen. Die beiden Terrassen oberhalb Gmünds bildeten einst das Delta eines natürlichen Stausees. Als die Gletscher zerfielen, verblieb Toteisgebilde. Derartige Gletscherreste konnten sehr lange liegenbleiben. Der nacheiszeitliche See im Gmünder Becken wurde vom Westen her von der Eiszeit-Malta gespeist. Das Schmelzwasser der Eiszeit-Lieser schüttete aus dem Norden die beiden Terrassen oberhalb Gmünds auf, so die Geologie. Das war aber schon weit nach der tiefsten Kaltzeit … Bei der Beckenaufstauung in der Region spielte jedenfalls nachweislich ein sehr großer Toteisbrocken eine wichtige Rolle.
Sechs Kilometer südlich entdeckte man einen nacheiszeitlichen Bergsturz in der steil eingeschnittenen Lieserschlucht unterhalb Oberallachs. Mit einer Höhe von etwa vierhundert Metern und Felsschollen mit bis zu vierzig Metern Durchmesser zeugt es von einem Großereignis. Zusätzlich findet ein Geologe beim Rachenbach nahe Trebesing die Spuren eines alten, hoch energetischen Wasserabflusses. Seedurchbrüche mit gewaltigen Wassermengen füllen die Sagen Kärntens allerorts. Durch Berg-Massen entstandene Wasser-Talsperren sind Teil der Landschaftsgeschichte. Beim Autobahnbau erhärtet sich für Geologen die Existenz eines ehemaligen Sees. Die Altvorderen waren also perfekte Spurenleser der Landschaftszeichen. Sie führten keine wissenschaftlichen Aufzeichnungen, verstanden es aber unnachahmlich, Landschaftsgeschichte zu lesen und mit Erzählmotiven unterschiedlichster Herkunft in Geschichten zu verketten.
Das zweite Erzählmotiv der Gründungslegende ist ein vielfach verwendetes: ein Kirchenbau auf Fundplätzen unglücklich Ertrunkener. Auch am Millstätter See lässt der sagenhafte Domitian einen Seeabfluss herstellen. In einer Volkslegende sucht er ebenfalls seinen ertrunkenen Sohn. An dieser Stelle, an der man den Leichnam findet, erbaut er die Kirche. Hinter diesem Millstätter Domitian könnte sich laut Forschung ein karantanischer Fürst verbergen, der in den ersten Jahrzehnten der altbayerischen Vorherrschaft eine Eigenkirche gründete. Dieses Erzählmotiv taucht in verschiedensten Varianten alter Sagen auf, vermehrt in den heute noch slowenisch-sprachigen Gebieten. Die dort bewahrten Geschichten mit „Es war einmal ein See …“ (Nekoč je bilo jezero) sind stets verbunden mit einer Felszerschlagung und einem anschließenden Kirchenbau. Allerorts überleben in den Sagen wichtige kulturhistorische Elemente der alten Welt.
Eine tragische Liebesgeschichte
Die zwei „Königskinder“ an der Malta
Im Gmündner Becken breitete sich vor langer Zeit ein großer See aus. Auf der Burg Leobenegg, etwa acht Kilometer nördlich von Gmünd, herrschte damals das Grafengeschlecht der Rastelhofer, dessen Sohn Pongratz mit dem Ritterfräulein von Kronegg bei Malta verlobt war.
Wieder einmal wollte Pongratz zu seiner Braut hinüberrudern. Der Tauernwind peitschte über das Wasser und es wurde rasch dunkel. Die Kerze im Fenster löschte der Wind. So verlor der junge Mann die Orientierung. Sein Boot zerschellte an einem Felsen. An den folgenden Tagen befahlen die tief erschütterten Eltern ihren Untertanen, nach dem ertrunkenen Sohn im See zu suchen. Da man ihn nicht fand, sollte der See wie ein Bad ausgeschüttet werden. Nun wurden die Felsen gesprengt, die das Wasser des Sees zurückhielten. Brausend stürzte die ungeheure Wassermenge durch das heutige Liesertal, bis sie wieder ein weites Becken fand, wo sie sich einbettete. Auf diese Weise ist der Millstätter See entstanden (…)
Als sich das Wasser verlaufen hatte, entdeckte man endlich den jungen Ritter. Die Eltern konnten ihn nun begraben und ließen über jener Stätte ein Kirchlein bauen. Bald schon wurde der Talboden urbar gemacht und Leute siedelten sich an. Rund um dieses Pongratzenkirchl soll sich später das Städtchen Gmünd entwickelt haben.
(Frei nach Georg Graber, stark gekürzt.)
Das dritte Element der Gründungslegende ist das Motiv der tragischen Liebesgeschichte zweier Königskinder, die durch ein Wasser getrennt sind. Seit dem 15. Jahrhundert ist es im Volke allgemein bekannt. Man kann dieses Motiv sogar bis in die Antike zurückverfolgen, wobei das Erlöschen eines wegweisenden Lichts am Fenster stets das Unglück herbeiführt. Nun spielt die Handlung meist rund um Seen mit ihren Burgen und erzählt von Liebesbeziehungen, die ein unglückliches Ende erfahren. In der Kirche von Gmünd stehen sich heute die Epitaphe (= Grabdenkmäler) der Herren von Raitenau und jener von Leobenegg gegenüber.
Laut Recherche des Stadthistorikers Anton Fritz verliebte sich Wolf-Dietrich II. von Raitenau – der Sohn des Hans Rudolf, Vizedom von Friesach und Besitzer der Herrschaft von Gmünd – in Elisabeth von Leobenegg, die ihm am 12.12.1623 auch einen (ledigen) Sohn mit Namen Wilhelm Theodor gebar. Es wäre eine Liebesheirat gewesen: Sie wurde vonseiten der wohlhabenden Familie der Raitenauer nicht erlaubt, da die Leobeneggs nach ihrem gesellschaftlichen Abstieg nicht mehr standesgemäß waren. Wolf-Dietrich heiratete vier Jahre später seine Cousine Maria Jakobea und wohnte mit ihr im Schloss Rosegg. Er war derjenige, der den Weg der Familie Lodron nach Gmünd bereitete – wenige Monate vor seinem Tod. Sowohl er als auch sein Vater sind in der Pfarrkirche zu Gmünd bestattet. Über den weiteren Werdegang von Elisabeth und ihrem Sohn ist bisher noch nichts bekannt.
Das Grafengeschlecht der Rastelhofer existierte nicht, allerdings eine adelige Familie namens von Rästlhofen, die wichtige Ämter wie Gerichtsschreiber, Landrichter und Pflegsverwalter besaßen. Mündliche Überlieferungen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Sie erfüllen zwar nicht die von der historischen Geschichtswissenschaft benötigten Jahreszahlen, aber bemerkenswerte Ereignisse erhalten trotzdem eine zutreffende Abfolge. In dem hier vorliegenden Fall zeigt sich die zeitlich richtige Einordnung dieser Liebesgeschichte. Urban von Rästlhofen erscheint schon unter dem Herrschaftseigner von Raitenau in Gmünd und auch seine Söhne besetzen im selben Jahrhundert der Vorkommnisse noch wichtige Positionen in Gmünd – kurz nachdem sich diese unglückliche Episode der beiden jungen Leute ereignet hat. Ebenso überliefert sich ein Pankraz von Leobenegg, der salzburgischer Pfleger war – allerdings schon 250 Jahre früher. Ein Rastel war jedenfalls ein Drahtgitter und Rastelmacher waren zum Beispiel die Kesselflicker.
Nur am Rande sei daran erinnert, dass das Pongratzenkirchlein in Gmünd älter als die Stadtmauer ist und laut Bauforschung noch vor 1200 n. Chr. erbaut worden sein könnte, also in die Anfänge Gmünds zurückreicht. In der Sage über Pongratz vermischen sich somit Überlieferungen unterschiedlicher Zeitepochen. Ihre Analyse zeigt, wie uraltes Erzählgut gemeinsam mit regionalen Überlieferungen in eine Geschichte verpackt wurde. Es gibt noch etliche andere Spuren der nachbarschaftlichen, bairisch-slawischen Urbarmachung des Gmünd-Tales. Sie zeigen sich auch in den Siedlungsnamen der Stadtgemeinde Gmünd. Mehr darüber das nächste Mal.
Literatur
Wörterbücher und Lexika
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Quellen
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